Von Nikolaus Brauns
„Herr Keuner begegnete Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen. `Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen´, sagte Herr Wirr. `Ich will keine Zeitungen.´ Herr Keuner sagte: `Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen: Ich will andere Zeitungen.´“
Bert Brecht könnte in dieser Herr-Keuner-Geschichte an den deutschen Kommunisten Wilhelm Münzenberg gedacht haben. Wie kein anderer hatte Münzenberg, dem der reformatorische Eifer der alten Thüringer nachgesagt wurde, das Presse- und Verlagswesen der kommunistischen Bewegung in den 20er und 30er Jahren revolutioniert. Münzenberg war ein Arbeiterführer neuen Typs, ein kommunistischer Manager, der mit ungewöhnlichen und modernen Mitteln jene Massen anzusprechen versuchte, die den politischen Forderungen der kommunistischen Parteien noch verständnislos gegenüberstanden, sich aber instinktiv zum Sozialismus hingezogen fühlten. Dabei ließ er sich von drei einfach Grundprinzipien leiten, schrieb sein früherer Weggenosse Arthur Koestler: „Kampf gegen den Krieg, Kampf gegen Ausbeutung, Kampf gegen den Kolonialismus“.
Wilhelm Münzenberg wurde am 14. August 1889 in Erfurt geboren. Sein cholerischer Vater, ein alkoholkranker Gastwirt, gab ihm einmal einen Strick und befahl ihm, sich aufzuhängen. Bereits mit 13 Jahren war Münzenberg Vollwaise, nachdem sich der Vater versehentlich beim Putzen seines Gewehres erschossen hatte. Münzenberg begann nach einer abgebrochenen Barbierlehre 1904 als Leistenjunge in der Schuhfabrik Lingel in Erfurt zu arbeiten. Er beschrieb später diese Zeit als geistigen „Dämmerzustand“, der damit endete, als ihn ein Kollege 1906 zum Arbeiterbildungsverein „Propaganda“ mitnahm. Münzenberg, der nun nicht nur die Abenteuerromane Karl Mays, sondern die auch Werke von Karl Kautsky, Ferdinand Lassalle und Friedrich Engels, die Evolutionstheorie von Charles Darwin und die Gedichte von Heinrich Heine las, übernahm bereits ein Jahr später den Vorsitz dieses Vereins, dessen Name fortan sein Lebenswerk bestimmte. Münzenberg schloss sich zudem der „Freien Jugend Erfurt“, einer sozialdemokratischen Jugendgrupe an. 1910 ging der in Erfurt aufgrund seiner politischen Aktivitäten gemaßregelte Schustergeselle auf die Walz. Nachdem er in Zürich Anstellung als Hausbursche einer Apotheke fand, blieb er im Nachbarland. Münzenberg wurde 1912 in den Vorstand der sozialdemokratischen Jugendorganisation der Schweiz sowie zum Redakteur ihrer Monatszeitung „Die Freie Jugend“ gewählt, er war Jugendvertreter auf dem Baseler Kongress der II. Internationale und wurde 1914 zum hauptamtlichen Sekretär des internationalen Jugendsekretariats in Bern.
Während des Weltkrieges bekam Münzenberg, der den entschlossensten Teil der Arbeiterjugend gegen den imperialistischen Krieg organisierte, Kontakt zum Führer der russischen Bolschewiki Wladimir Iljitsch Lenin, der sich im Schweizer Exil ebenfalls um die Koordination kriegsgegnerischer Kräfte innerhalb der mehrheitlich zu Vaterlandsverteidigern mutierten internationalen Sozialdemokratie bemühte. Münzenberg gehörte so zu den Teilnehmern der Konferenz sozialistischer Kriegsgegner in Kienthal 1916, die als Keimzelle für die Gründung der Kommunistischen Internationale gilt.
Im November 1918 wurde Münzenberg aufgrund seiner politischen Aktivitäten bei der Organisation eines Generalstreiks in Zürich als „missliebiger Ausländer“ und „Anhänger der Oktoberrevolution“ nach Deutschland ausgewiesen, wo kriegsmüde Arbeiter und Soldaten soeben den Kaiser gestürzt hatten. Er trat der zum Jahreswechsel 1918/1919 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und wurde im November 1919 zum Vorsitzenden der neugegründeten Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) gewählt. Auf Weisung des Komintern-Vorsitzenden Gregori Sinowjew wurde Münzenberg bereits 1921 vom KJI-Vorsitz abberufen, doch bald bot sich ihm ein wesentlich weitreichenderes Aufgabengebiet.
Internationale Arbeiterhilfe
Im Sommer 1921 wurde Sowjetrussland von einer Hungersnot heimgesucht. In weiten Gebieten an der Wolga bis hinunter auf die Krim und an das Schwarze Meer verbrannte die Ernte durch eine ungeheure Dürre. 40 Millionen Menschen drohte der Hungertod. Vom kapitalistischen Ausland war keine Hilfe zu erwarten, vielmehr wurden in Paris und London Vorbereitungen getroffen, den drohenden Zusammenbruch Russlands zu einem erneuten militärischen Vorgehen gegen die Revolution auszunutzen. In dieser Situation, in der Arbeiterorganisationen in aller Welt bereits spontan begonnen hatten, Hilfsgelder für Sowjetrussland zu sammeln, erließ Lenin am 2. August 1921 einen Appell: „Hilfe tut not. Die Sowjetrepublik der Arbeiter und Bauern erwartet diese Hilfe von den Werktätigen, von den Industriearbeitern und kleinen Landwirten. Die Massen der einen wie der anderen werden selbst vom Kapitalismus und Imperialismus überall unterdrückt, aber wir sind überzeugt, dass sie trotz ihrer eigenen schweren Lage, die sich aus der Arbeitslosigkeit und der wachsenden Teuerung ergibt, unserem Appell Gehör schenken werden.“ Mit der Koordination dieser internationalen Solidaritätskampagne beauftragte Lenin seinen alten Kampfgefährten aus dem Schweizer Exil, Willi Münzenberg.
Nach der Einrichtung eines Büros am Wickingerufer in Berlin-Moabit rief Münzenberg die schon aktiven Hilfskomitees sowie Gewerkschaften, Arbeiterparteien, Intellektuelle und Künstler dazu auf, sich einem „Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für die Hungernden in Russland“ anzuschließen. Der 12. August 1921, an dem sich dieses Komitee in Berlin provisorisch konstituierte, gilt als Geburtsstunde der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH). Sie wuchs bis Anfang der 30er Jahre zu einer weltweiten Massenorganisation mit 18 Millionen Einzel- und Kollektivmitgliedern. Von Anfang an griff Münzenberg dabei auf die Mobilisierung sogenannter Fellow Travellers als „bürgerlicher Hilfstruppen“ zurück. Intellektuelle, Künstler und sonstige Prominente wie Käthe Kollwitz, Albert Einstein, Maximilian Harden, Heinrich Vogeler, George Grosz, Martin Andersen Nexö, Anatole France und Henri Barbusse wurden dafür gewonnen, mit ihrer Bekanntheit und ihrem guten Namen zuerst für die Hungerhilfe und anschließend die IAH zu werben. „Der erste große Leitgedanke der Arbeit in der Internationalen Arbeiterhilfe war und ist, die in früheren Jahrzehnten nur in der Spontaneität der Massen aufflammende proletarische Solidarität zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeiterbewegung organisatorisch zu erfassen, organisatorisch zu formen und bewusst organisatorisch zu erhalten und einzusetzen“, erklärte Münzenberg.
Hilfstransporte für Russland wurden von Skandinavien bis Südafrika, von Argentinien bis zu den USA und Australien organisiert. Das erste Schiff verließ am 21. August den Stockholmer Hafen in Richtung Petrograd. Die IAH sammelte 1921 und 1922 rund fünf Millionen Dollar und brachte 40000 Tonnen Lebensmittel, Kleider, Maschinen und Medikamente mit rund 100 Schiffstransporten nach Russland. 1923 konnten sich die russischen Arbeiter und Bauern mit einer von der IAH organisierten Getreidesammlung für diese Solidarität bei den deutschen Arbeitern bedanken, die nun selber aufgrund der Inflation hungerten.
Ab 1924 wurden die Komitees der IAH zu einer zentralisierten Mitgliederorganisation zusammengefasst, die neben Kommunisten auch Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten und insbesondere Parteilose umfasste. Mit 52 Prozent wies die Arbeiterhilfe den höchsten Frauenanteil aller proletarischen Organisationen auf. Die IAH, die als „Proviantkolonne des Proletariats“ zunehmend Streikkämpfe unterstützte, verstand sich als Ergänzung zu den „großen Säulen der Arbeiterbewegung“ Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft.
Mehrfach musste Münzenberg innerhalb der KPD den Vorwurf zurückweisen, die IAH sei eine rote Heilsarmee: „Sie will nicht Almosen geben, sondern sie will durch das Proletariat für das Proletariat wirken.“ So war die praktische Hilfe mit politischer Aufklärung verbunden. Im deutschsprachigen Raum war hierfür das wichtigste Instrument die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ), die Anfang der 30er Jahre eine Auflage von bis zu einer halben Million erreichte. Die AIZ „unterscheidet sich von allen anderen illustrierten Zeitungen grundsätzlich“, so Münzenberg. „Sie hat ihr Gesicht ganz dem Leben und den Kämpfen der Arbeiter und aller werktätiger Schichten zugewandt. Sie bringt Bilder aus den Betrieben, von Streiks, von den Stempelstellen, von Demonstrationen, Versammlungen, Hungerkatastrophen.“ Im Unterschied zur direkten KPD-Parteipresse, die sich der unmittelbaren politischen Sphäre widmete, klammerte die AIZ nichts aus, was im Leben der Arbeiter eine Rolle spielte. Alle gesellschaftlichen Phänomene sollten vom Klassenstandpunkt aus erklärt werden, um dem Leser Einsicht in die eigene soziale Situation zu vermitteln und ihn zum Handeln aufzufordern.
Zwar mussten AIZ-Leser auf Glamourgeschichten über Fürstenhochzeiten verzichten, aber Unterhaltung kam keineswegs zu kurz. Neben einer gänzlich unkritischen Berichterstattung über Sowjetrussland erläuterte die AIZ komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge in der kapitalistischen Welt, brachte aber auch Sportreportagen, Haushaltstipps, Erzählungen bekannter Schriftsteller wie Maxim Gorki und Kurt Tucholsky sowie eine Rätsel- und Schachecke. Durch regelmäßige Leserumfragen, Preisausschreiben und Fotowettbewerbe versuchte die AIZ-Redaktion, die Barrieren zwischen Zeitung und Lesern durch die Schaffung von Gemeinschaftsgefühl zu überwinden.
„Anhand von Tatsachen und Dokumenten Zusammenhänge aufzuhellen, hieb- und stichfeste Informationen über die wirtschaftlichen Entwicklungen zu geben, die Strategie und Taktik des Klassengegners zu erforschen und der um ihre Befreiung kämpfenden Arbeiterklasse Rüstzeug für ihren Kampf zu geben“ – dies war Münzenbergs Anspruch. Ein wesentliches Mittel dazu war die Form der Bildreportage. Zum Einsatz von Bildern schrieb Münzenberg: „Das Bild wirkt vor allem auf die Kinder, Jugendlichen, auf die primitiv denkende und empfindende, noch nicht organisierte, indifferente Masse der Arbeiter, Landarbeiter, Kleinbauern und ähnliche Schichten. … Schon bei dem Vertrieb lässt sich eine illustrierte Zeitung leichter an einen indifferenten Arbeiter verkaufen als eine theoretische Broschüre. Es muss möglich werden, der Verdummung durch die bürgerlichen Illustrierten Zeitschriften, die heute in Deutschland Millionen Auflage haben, durch eine illustrierte Arbeiterzeitung erfolgreich entgegenzuwirken.“ In dem der Arbeiterklasse der Spiegel vorgehalten wurde, sollte sie die Welt als veränderbar und sich selber darin als das handelnde Subjekt erkennen. Zu einem Markenzeichen der AIZ wurden die kunstvollen und provozierenden Kollagen des ehemaligen DaDa-Künstlers John Heartfield. Bekannt ist das Motiv über den Sinn des Hitlergrußes. Ein anonymer Großkapitalist drückt Hitler in die zum Gruß erhobene Hand ein Geldbündel. Die Botschaft ist klar: Hinter dem Faschismus steht das Kapital.
Die von Münzenberg im Rahmen der IAH geschaffenen Medienunternehmen waren der zweitgrößte Medienkonzern der Weimarer Republik - nach dem rechtskonservativen und antisemitischen Alfred-Hugenberg-Konzern. Zum „Münzenberg-Konzern“ gehörten Tageszeitungen wie die „Welt am Abend“ und Illustrierte wie das Satireblatt „Der Eulenspiegel“, die Vereinigung der Arbeiterphotographen, der Neue Deutsche Verlag, der Buchklub „Universum Bücherei für alle“ und die „Prometheus Filmverleih- und Vertriebs-Gmb“, die „Russenfilme“ wie Sergeij Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ in die deutschen Kinos brachte.
Zur Leserbindung trugen die monatlichen Martinées und Massenveranstaltungen unter der Schirmherrschaft der „Welt am Abend“ in der Berliner Scala und dem Wintergarten mit bekannten Kabarettisten und Künstlern oder im Lunapark mit Tanz und Musik bei. Dabei herrschte soviel Andrang, dass die BVG zusätzliche Wagen einsetzen musste. Gemeinsam mit der IAH veranstaltete die „Welt am Abend“ seit 1929 jeweils am französischen Revolutionstag, dem 14.Juni einen „Internationalen Solidaritätstag“ mit Musik und Transparten in einem Gartenlokal bei Berlin. Abends gab es Feuerwerk und eine Schiffsattrappe des Panzerkreuzer A, gegen dessen Bau gerade eine Kampagne der KPD lief, wurde versenkt. Münzenberg ließ sich wie ein kleiner Napoleon von den vielen Tausend Menschen feiern.
1931 gründete Münzenberg die Tageszeitung „Berlin am Morgen“. Die KPD unterstützte ihn dabei auch finanziell, um im Falle eines immer wieder erfolgten Verbots des Parteiorgans „Rote Fahne“ diese Zeitung als Ersatz nutzen zu können. Sehr zum Widerwillen Münzenbergs musste „Berlin am Morgen“ im Herbst 1931 für den sogenannten „Roten Volksentscheid“ zum Sturz der sozialdemokratischen Preußenregierung trommeln. Der Volksentscheid war ursprünglich von den deutschnationalen und faschistischen Parteien angestrengt worden, doch in ihrer damaligen Verblendung über den „Hauptfeind SPD“ war die KPD mit aufgesprungen. Letztlich scheiterte der gemeinsame Versuch von Nazis und KPD, die sozialdemokratische Regierung zu stürzen, da auch viele kommunistische Wähler nicht mitzogen. „Ihr habt gehandelt, als hättet ihr Nazi-Agenten in eurem Zentralkomitee“, schreib der pazifistische Publizist Kurt Hiller an Münzenberg. „Und wenn Sie persönlich, Willi Münzenberg (den ich, nach wie vor, als einen der klügsten im linken Lager Deutschlands verehre), auch diesen Beschluss schlucken, ohne an ihrer Gesundheit Schaden zu nehmen, dann … bewundere ich ihren Magen.“ Diese Episode zeigt, dass Münzenberg zwar in Methoden der Agitation und Propaganda gestützt auf seinen eigenen - allerdings mit Komintern-Geldern geschaffenen – Apparat eine gewisse Selbstständigkeit von der KPD hatte, doch in harten politischen Linienfragen nicht gegen das Zentralkomitee handeln konnte und wollte.
Willi Münzenberg spielte mit seinen zahlreichen durch die IAH entstandenen Kontakten zu Politikern, Gewerkschaftsführern, Wissenschaftlern und Künstlern in aller Welt eine führende Rolle bei der Organisation einer 1927 in Brüssel veranstalteten Konferenz gegen Imperialismus und Kolonialismus, an der unter anderem der indische Nationalrevolutionär Nehru, chinesische Kuomintang-Generäle, die Schriftsteller Henri Barbusse, Upton Sinclair, Roman Rolland und der Physiker Einstein als Teilnehmer oder Schirmherren fungierten. Aus dem Kongress entstand die „Liga gegen Imperialismus“ als gemeinsame antikolonialistische Bewegung von Kommunisten, linken Sozialdemokraten, Pazifisten und Vertretern nationaler Befreiungsbewegungen. Im August 1932 gelang es Münzenberg, auf einem Antikriegskongress in Amsterdam erneut, Unterstützung von Pazifisten bis zu Mitgliedern der britischen Labourpartei, von Einstein bis Sigmund Freud, zu bekommen.
Von sozialdemokratischer Seite wurde gegen Münzenberg als „Roten Millionär“ gehetzt. Auf solche Angriffe entgegnete Münzenberg: „Nicht die Tatsache des Bestehens wirtschaftlicher Unternehmungen entscheidet darüber, ob die das Unternehmen beherrschende Arbeiterorganisation sozialistisch oder nichtsozialistisch ist, sondern die Frage, wie sie organisiert sind und welchen Zwecken sie dienen. Es ist nicht nur das Recht proletarischer Organisationen, wirtschaftliche Unternehmungen zu besitzen, sondern geradezu ihre Pflicht. Nur politische Kindsköpfe, philosophische Spekulanten an den Kaffeehaustischen oder müde Leute, die ihren Frieden mit der kapitalistischen Gesellschaft geschlossen und dafür einen Bürgermeister oder Redakteursposten ergattert haben, können auf wirtschaftliche Unternehmungen als Stützpunkte für eine breite revolutionäre Massenpropaganda und Agitation verzichten.“ Wenn er finanziellen Gewinn witterte, bediente sich Münzenberg auch der Spekulation. So kaufte er sogenannte Russenwechsel während des 1.Fünfjahresplans, als bürgerliche Banken nicht an die UdSSR glaubten. Doch Geldverdienen war für Münzenberg niemals Selbstzweck, sondern Mittel um Propaganda für den Kommunismus zu machen. Der „Rote Millionär“ besaß kein Privatvermögen und nicht einmal ein Konto, sondern wurde nach den Richtlinien für Parteiarbeiter bezahlt. Seine parteilosen Redakteure bekamen wesentlich mehr Geld als Münzenberg mit einem monatlichen Gehalt 500 Mark. Münzenberg wohnte ab Mitte der 20er Jahre zur Miete beim bekannten Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld am Berliner Tiergarten. Die Wohnung war ausgeschmückt mit Sexualsymbolen primitiver Völker und damit für die vielen Besucher Münzenbergs immer wieder eine Attraktion.
Aufklärung über die Nazi-Barbarei
Nach der Machtübernahme der Faschisten und dem Reichstagsbrand floh Münzenberg mit seinen Mitarbeitern nach Paris. Während die Nazis die IAH und alle angeschlossenen Unternehmungen verboten und enteigneten, setzte Münzenberg im französischen Exil seine Propagandatätigkeit fort. Bereits im März 1933 hatte der französische kommunistische Schriftsteller Paul Nizan Münzenberg mit dem Schweizer Verleger P. G. Levy in Kontakt gebracht. Dieser war bereit, seinen Pariser Verlag „Editions du Carrefour“ für den Kampf gegen den Faschismus zur Verfügung zu stellen. Levy blieb zwar Eigentümer des Verlages, doch Münzenberg konnte den Namen, die Verlagsräume am Boulevard Saint Germain und die Kontakte Levys zu Druckereien nutzen. Die Gelder für die antifaschistische Verlagsarbeit kamen vor allem von der Kommunistischen Internationale. Dem kleinen Verlagsteam gehörten wie zuvor beim „Neuen Deutschen Verlag“ in Berlin Münzenbergs Frau Babette Gross sowie der Schriftsteller und Komintern-Verbindungsmann Otto Katz an. Kommunistische Exilschriftsteller wie Alexander Abusch und Arthur Koestler unterstützten die Verlagsarbeit. Die Verlagsräume standen allen Antifaschisten offen, die bereit waren, mitzuarbeiten. Münzenberg „kannte keine Spionenfurcht wie die Funktionäre, die jeden Ankömmling erst durch Untergebene verhören ließen“, erinnerte sich der Schriftsteller Gustav Regler.
Bis 1937 erschienen in der Editions du Carrefour neben der Zeitschrift „Der Gegenangriff“ 57 deutschsprachige Titel. Ein Schwerpunkt lag in der Herausgabe von Tatsachenberichten und Dokumentationen über die faschistische Verbrechen und die Situation in Deutschland und später auch in Spanien. Mit dem weltweit verbreiteten „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ wurde aufgezeigt auf, dass die Nazis selber das Fanal gesetzt hatten, um ihren Terror zu legitimieren. Es folgte das Braunbuch II „Dimitroff contra Göhring“ über den Reichstagsbrandprozess, in dem sich der Angeklagte, der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff, zum wahren Kläger gegen die Nazis aufschwang und freigesprochen werden musste. Mehrere unter Mitarbeit kommunistischer Militärexperten wie Albert Schreiber verfasste anonym veröffentlichte Bücher beschäftigten sich ab 1934 mit der geheimen Aufrüstung Hitlerdeutschlands und der Kriegsgefahr. 1936 erschien die von Maximilian Scheer redigierte Dokumentation „Das deutsche Volk klagt an: Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland“, die unter anderem den Plan und die Lagerordnung deutscher Konzentrationslager enthielt und vor einer weiteren Verfolgung der Juden warnte. In diesem Jahr veröffentlichte Münzenberg zudem drei Bücher, die sich speziell dem Antisemitismus und seinen mörderischen Folgen widmeten. Lion Feuchtwanger schrieb das Vorwort zur Dokumentation „Der gelbe Fleck. Die Ausrottung von 500.000 Juden). Neben Dokumentationen beinhaltete das Verlagsprogramm der Editions du Carrefour ein literarisches Programm deutscher Exilautoren wie Bert Brecht, Johannes R. Becher, Egon Erwin Kisch und Anna Seghers. Das letzte in der Editions veröffentlichte Buch mit dem Titel „Propaganda als Waffe“ zur Entlarvung der Nazipropaganda hatte Willi Münzenberg selber verfasst. Es sollte Kommunisten eine Handreichung für entsprechende Methoden der Gegenpropaganda bieten, wurde aber in der kommunistischen Presse scharf kritisiert, da Münzenberg inzwischen in zunehmenden Widerspruch zur offiziellen Linie von KPD und Komintern geraten war.
Volksfront
Auf dem VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale 1935 war die von Münzenberg in der Praxis bereits durchgeführte Bündnispolitik zur Schaffung antifaschistischer Volksfronten unter Einschluss bürgerlichen Demokraten zur offiziellen Linie der kommunistischen Parteien erklärt worden. Im September 1935 gelang es Münzenberg erstmals, 51 kommunistische, sozialdemokratische und bürgerliche Hitlergegner im Pariser Hotel Lutetia zusammenzubringen. In Abwesenheit wurde Münzenberg in diesem Jahr von der Nazi-Justiz zum Tode verurteilt. Tiefen Eindruck machte im Februar 1936 die Erklärung Münzenbergs, er wolle eine Volksfront auf der Grundlage völliger Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die frühere Politik der Kommunisten sei falsch gewesen. In Zukunft müsse eine deutsche Politik betrieben werden. „Er legte eine Beichte ab, die unseren Genossen furchtbar imponierte, es war so, als ob die Komintern das sagte“, schrieb ein Berichterstatter an den SPD-Vorstand. Doch vornehmlich auf Intellektuelle gestützt, gelang es der Bewegung für eine deutsche Volksfront nicht, eine auch nur annähernd umfassende Vertretung des ganzen Volkes zu werden. Die beteiligten Sozialdemokraten konnten zudem nicht im Namen ihrer Partei sprechen. Die genau ein Jahr nach dem VII. Weltkongreß begonnenen Moskauer Schauprozesse gegen führende Bolschewiki und Mitkämpfer Lenins versetzten dem zaghaften Bündnis dann den Todesstoß. So heißt es in Harald Wessels Münzenberg-Biographie: „Mit den 16 zum Tode Verurteilten wurde auch der Geist der Volksfront füsiliert. Denn welcher Sozialist, Sozialdemokrat, Anarchist, christliche Humanist, Pazifist oder bürgerliche Antifaschist sollte Zutrauen zum Bündnisangebot von Kommunisten haben, deren Moskauer Zentrale der Welt solche Monstrositäten zumutete.“
Die IAH war bereits während des VII. Weltkongresses der Komintern auf Weisung des ZK der KPdSU aufgelöst worden. Angesichts von Kriegs- und Spionagefurcht hatte die hauptsächlich mit Ausländern besetzte Moskauer Vertretung der IAH in den Augen des sowjetischen Geheimdienstes eine stete Gefahrenquelle gebildet. Münzenberg entfremdete sich zunehmend von der Komintern. Von Walter Ulbricht des Trotzkismus bezichtigt, wurde 1937 wurde ein Parteiuntersuchungsverfahren gegen Münzenberg eingeleitet. Der Editions du Carrefour und ihren Verlagsmitarbeitern wurden nun die Komintern-Gelder gestrichen, so dass Münzenberg die Editionstätigkeit mit dem Verlag Sebastian Brandt fortzuführen suchte. Einer Aufforderung, nach Moskau zu kommen, folgte Münzenberg aus Angst vor Repressalien nicht mehr. Im März 1938 erfolgt sein Ausschluss aus dem Zentralkomitee, dem er seit der Brüsseler Konferenz der KPD 1935 angehört hatte, wegen „opportunistischer Grundsatzlosigkeit“ und „unerlaubter Verbindung“ zu bürgerlichen Hitlergegnern. Im März 1939 trat Münzenberg – seinen Parteiausschluss zuvorkommend - aus der KPD aus. Mit der von ihm begründeten Kleinpartei „Freunde der Sozialistischen Einheit Deutschlands“ und der gemeinsam mit Arthur Koestler gegründeten Zeitung „Die Zukunft – Ein neues Deutschland: Ein neues Europa!“ versuchte Münzenberg, oppositionelle Kommunisten zu sammeln. Als im September 1939 sowjetische Truppen aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes in Polen einmarschierten, erklärte Münzenberg in „Die Zukunft“ dem Kreml-Herrscher mit den Worten „Der Verräter, Stalin, bist Du“ offen den Krieg.
Nach Einmarsch der Nazi-Wehrmacht in den Benelux-Staaten wurde Münzenberg im Mai 1940 wie andere Deutsche in Frankreich interniert. Auf einem Marsch der Lagerinsassen im Süden Frankreichs gelang ihm im Juni 1940 die Flucht. Er hoffte er, sich nach Marseille durchzuschlagen, um von dort aus mit dem Schiff nach Nordafrika zu entkommen. Am 17. Oktober 1940 wurde Münzenberg in einem Wald bei Saint-Marcellin nahe dem Dorf Montagne im Département Isère tot aufgefunden. Der stark verweste Leichnam hatte einen Strick um den Hals – wie ihm sein Vater einmal geheißen hatte. Während einige Zeitgenossen einen politischen Mord vermuteten, scheint nach heutiger Quellenlage ein Selbstmord aus depressiver Ausweglosigkeit die wahrscheinlichste Todesursache zu sein. Harald Wessel, der sich intensiv mit dessen letzten Lebensjahren befasst hat, sieht „die moralische Schuld am frühen Tod Münzenbergs“ unterdessen bei jenen politischen Kräften liegen, „die diesen Pionier der sozialen Freiheit und der geistigen Aufklärung 1933 außer Landes trieben, ihn für `staatenlos´ erklärten und mit ihren Panzern bis in die Täler der Rhône und Isère verfolgten – wie auch bei denen, die seinen wirksamen antifaschistischen Einsatz durch ideologische Borniertheit, politische Inkompetenz, kleinkarierte Besserwisserheit, feige Unterwerfung unter Stalins Terrorapparat und infame Ausgrenzung eines ihrer besten Genossen behinderten, die ihn aus der Partei drängten und öffentlich drohten, ihn zu `erledigen´.“ Für Wessel ist Münzenberg damit ein „Opfer im Widerstandskampf gegen Hitler und Stalin.“
Verwendete Literatur:
- Simone Barck / Silvia Schlenstedt / Tanja Bürgel / Volker Giel / Dieter Schiller (Hg.): Lexikon Sozialistischer Literatur – Ihre Geschichte in Deutschland bis 1945, Stuttgart und Weimar 1994.
- Jens F. Dwars: Der Tote im Wals: Willi Münzenberg, in: Gelebte Ideen – Sozialisten in Thüringen, Biographische Skizzen, Jena 2006, 304-308.
- Babette Gross: Willi Münzenberg. Eine politische Biographie (Mit einem Vorwort von Arthur Koestler), Stuttgart 1967.
- Kunstamt Kreuzberg/Institut für Theaterwissenschaft der Universität Köln: Weimarer Republik, Berlin und Hamburg1977 (darin u.a.: Publizistische Medien; Der Film in der Weimarer Republik; Internationale Arbeiterhilfe IAH)
- Willi Münzenberg: Propaganda als Waffe – Ausgewählte Schriften 1919-1940, Frankfurt a.M. 1977.
- Willi Münzenberg: Solidarität: zehn Jahre Internationale Arbeiterhilfe 1921–1931, Berlin, 1931.
- Gabriele Ricke: Die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, Hannover 1974.
- Herrmann Weber und Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004.
- Harald Wessel: Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin, Berlin 1991.
- Hein Willmann: Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung 1921–1938, Berlin 1974.
Zum Autor:
Dr. Nikolaus Brauns (geb. 1971 in München) lebt und arbeitet als Journalist und Historiker in Berlin. Er promovierte in München über die „Rote Hilfe Deutschlands“ und ist regelmäßiger Autor der Tageszeitung junge Welt. Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung sowie zur Politik und Geschichte der Türkei und des Nahen Ostens.
www.raeterepublik.de
Veröffentlichungen (Auswahl):
Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn 2003.
Revolution und Konterrevolution - Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Bonn 2005.
Nikolaus Brauns / Brigitte Kiechle: PKK - Perspektiven des kurdischen Freiheitskampfes: Zwischen Selbstbestimmung, EU und Islam, Stuttgart 2010.
Der Beitrag erschien zuerst im Anhang von: Maximilian Scheer: Das Deutsche Volk klagt an: Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland, Laika Verlag Hamburg 2012