aus: RHZ 04/2024

Vorstand des Hans-Litten-Archivs


In der Rubrik „Fundstück des Monats“ wollen wir Plakate, Flugblätter oder Broschüren aus
dem Bestand des Hans-Litten-Archivs vorstellen, die bisher noch nicht auf unserer
Homepage zu finden sind.
Durch eine Schenkung der Roten Hilfe OG Bochum bekamen wir im Herbst 2024 einen
wertvollen Neuzugang: Der 68 Seiten starke Reader „tiefe einblicke. Dokumentation und
Hintergründe zu den Hausdurchsuchungen (18.12.87) und zu den Verhaftungen“
, der vom
Frauenbuchladen Bochum herausgegeben wurde, widmet sich der Solidaritätskampagne
für Ulla Penselin und Ingrid Strobl.
Eine Razzia und ihre Folgen
Am 18. Dezember 1987 hatte das Bundeskriminalamt bundesweit 33 Wohnungen,
Arbeitsplätze sowie das Essener Gen-Archiv durchsucht und zwölf Aktivist_innen
vorübergehend festgenommen. Ihnen wurde vorgeworfen, Mitglieder der militanten
„Revolutionären Zellen“ bzw. der „Roten Zora“ (RZ) zu sein, die als „terroristische
Vereinigung“ nach § 129a verfolgt wurden. Im Mittelpunkt der staatlichen Verfolgungswut
stand der Kampf der RZ gegen Gen- und Reproduktionstechnologie, der damals in der
feministischen Bewegung eine zentrale Rolle spielte.
Während die meisten Festgenommenen nach kurzer Zeit freikamen, blieben Ulla Penselin
und Ingrid Strobl in Untersuchungshaft. Strobl wurde später in einem skandalösen Prozess
verurteilt und saß zweieinhalb Jahre im Gefängnis – weil sie einen Wecker gekauft hatte,
der für einen Anschlag benutzt worden war.
Redebeiträge, Artikel und Flugblätter
Nach einem Vorwort, das die Hausdurchsuchungen kurz schildert und einordnet,
dokumentiert die Broschüre „tiefe einblicke“ zunächst die Reden, die auf der „Frauen-
Solidaritäts-Veranstaltung“ am 9. Januar 1988 in Bochum gehalten wurden. Sie
verknüpfen Analysen der Razzia und der Ermittlungen nach § 129a mit feministischen
Themen, insbesondere mit der laufenden Kampagne gegen Gen- und
Reproduktionstechnik: „Kriminalisiert wird also die konsequente Ablehnung der
Technologien, kriminalisiert wird die allzu weit verbreitete Haltung von Frauen, die
vielfältige Formen des Widerstands akzeptieren. Wir wenden uns gegen eine Spaltung von
Frauen, die sich gegen die Gen- und Reproduktionstechnologien zur Wehr setzen!“
(Einschätzung der BKA-Razzia von betroffenen Frauen aus dem Ruhrgebiet, S. 4)
Ein zweiter Abschnitt versammelt Medienberichte, vor allem aus der taz, gibt aber auch
den Betroffenen eine Stimme: Neben Pressemitteilungen des Gen-Archivs finden sich
Briefe von Ulla Penselin aus der Haft, in denen sie die harte Realität der Isolationshaft
schildert, aber auch die Kraft, die sie aus der Unterstützung von draußen schöpft:
„‚Solidarität ist eine Waffe‘ ist kein Propagandaspruch, sondern heißt Leben – unser Leben
– auch im Knast.“ (Brief von Ulla, S. 19)
Breite feministische Unterstützung
Eindrücke aus der bundesweiten Solidaritätskampagne gewährt der dritte Teil, der
Flugblätter und längere Veranstaltungsaufrufe aus Hamburg, Köln und Dortmund
nachdruckt. Damit bezieht der Reader weitere Medien mit ein, deren Layout zugleich die
Ästhetik der damaligen Bewegung beleuchtet. Die ausführlichen Ankündigungen gehen
nochmals detaillierter auf einzelne lokale Durchsuchungen ein und zeigen die Bandbreite
der Informationsabende sowie der beteiligten Bündnisse.
Ergänzend werden Solidaritätserklärungen, Grußbotschaften und Offene Briefen aus dem
In- und Ausland dokumentiert, hauptsächlich von feministischen Gruppen und
Organisationen sowie studentischen Gremien. Dass der Repressionsschlag die
kämpferischen Proteste keineswegs erstickte, zeigt der „AUFRUF zur Vorbereitung des 2.
Bundesweiten Kongresses ‚Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik‘“, der
noch 1988 stattfand.
Die Broschüre ist damit ein eindrückliches Beispiel der militanten feministischen
Bewegung der 1980er-Jahre und ihrer Themen. Vor allem aber beleuchtet sie die massive
staatliche Repression in Form der Razzien und Verhaftungen ebenso wie die vielfältigen
Solidaritätsbekundungen, Proteste und die breite gesellschaftliche Unterstützung für die
Betroffenen – ein wichtiges Kapitel der Solidaritätsaktivitäten dieser Zeit.

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