Wir gratulieren der Roten Hilfe zu ihrem 100. Geburtstag! Denn der 12. April 1921 gilt als die offizielle Geburtsstunde der Solidaritätsorganisation für linke politische Gefangene und Verfolgte und deren Angehörige. An diesem Tag erschien in der Tageszeitung „Rote Fahne“ der Aufruf „Hilfe für die Märzopfer“. Darin rief die Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands unter ihrem Sekretär Wilhelm Pieck zur Bildung von Rote-Hilfe-Komitees auf.
In Folge des von Polizei und Reichswehr blutig niedergeschlagenen Arbeiteraufstandes im mitteldeutschen Industrierevier im März 1921 hatte eine Massenverfolgung linker Arbeiter eingesetzt. Zahlreiche Familien litten Not, da revolutionäre Arbeiter inhaftiert wurden oder untertauchen mussten. Die Komitees der Roten Hilfe sammelten Spenden für die notleidenden Familien. Sie organisierten mit ihren Anwälten Rechtsschutz für die Angeklagten - und sie verhalfen einigen Verfolgten mit falschen Papieren zur Flucht.
1924 ging aus diesen Komitees die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) hervor, die trotz ihrer KPD-dominierten Führung bis Anfang der 1930er Jahre zu einer überparteilichen Massenorganisation mit hunderttausenden mehrheitlich parteilosen Mitgliedern anwuchs, an deren Seite zahlreiche bekannte Persönlichkeiten wie der Physiker Albert Einstein, die Schriftsteller Kurt Tucholsky, Heinrich und Thomas Mann und die Künstlerin Käthe Kollwitz sowie engagierte Juristen und Juristinnen wie Felix Halle, Hilde Benjamin und Hans Litten standen. Die RHD gehörte der Internationalen Roten Hilfe an. Dieser weltweite Verbund von Solidaritätsorganisationen mit Millionen Mitgliedern, dem die Frauenrechtsaktivistin Clara Zetkin vorstand, unterstützte politisch verfolgte und inhaftierte sowie von der Hinrichtung bedrohte kommunistische, sozialistische, sozialdemokratische, anarchistische und antikolonialistische Aktivistinnen und Aktivisten ebenso wie Opfer rassistischer Justiz. Die Rote Hilfe engagierte sich für eine demokratische Reform des Justizsystems und Strafgesetzbuches, gegen den Abtreibungsverbotsparagraphen 218 sowie gegen die Todesstrafe und sie trat für ein Recht auf Asyl ein. Unter dem Faschismus leisteten Rote Helfer und vor allem Rote Helferinnen vielfältigen Widerstand, was einige von ihnen mit ihrem Leben bezahlen musste.
Im Gefolge der 68er-Bewegung und der außerparlamentarischen Opposition wurde in Westdeutschland der Rote-Hilfe-Gedanke wieder aufgegriffen und neue Solidaritätsorganisationen unter diesem Namen wurden gegründet. Hier liegen auch die Wurzeln der noch heute in der Bundesrepublik bestehenden parteiunabhängigen und strömungsübergreifenden linken Schutz- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e.V. mit deutlich über 12.000 Mitgliedern.
Wenn heute in der Bundesrepublik Antifaschistinnen wie Schwerkriminelle gejagt werden, wenn ziviler Ungehorsam bei Klimaprotesten kriminalisiert wird, wenn kurdische und türkische Linke als vermeintliche Terroristen zu langen Haftstrafen verurteilt werden, wenn Grundrechte eingeschränkt und zugleich Polizei und Verfassungsschutz aufgerüstet werden, dann heißt es heute wie schon vor 100 Jahren: „Darum schafft Rote Hilfe!“
Das seit 2005 bestehende Hans-Litten-Archiv e.V. in Göttingen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Dokumente zur Geschichte der Solidaritätsorganisationen der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung sowie der sozialen Bewegungen zu dokumentieren und wissenschaftlich zu erforschen. Einen besonderen Sammlungsschwerpunkt bilden dabei die verschiedenen Rote-Hilfe-Vereinigungen der letzten 100 Jahre. Auf unserer Website www.hans-litten-archiv.de stellen wir einen wachsenden Teil unserer Sammlung der Öffentlichkeit vor.
Wir möchten zudem auf die von unserem Vorstandsmitglied Silke Makowski verfasste Broschüre „Darum schafft Rote Hilfe! Die Rote-Hilfe-Komitees ab 1921“ hinweisen, die jetzt von der Roten Hilfe e.V. in Kooperation mit dem Hans-Litten-Archiv e.V. veröffentlicht wurde. Die Broschüre kann auf der Website des Hans-Litten-Archivs heruntergeladen werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Nikolaus Brauns
Vorsitzender des Hans-Litten-Archivs e.V.
Link zur Broschüre:
Link zum Radiobeitrag über die Anfänge der Roten Hilfe:
Link zum ND-Artikel vom 19.4.2021:
Link zu einem Podcast:
Veranstaltung zu 100 Jahre Rote Hilfe