1. Mai 1929: Berlins Polizeipräsident Karl Friedrich Zörgiebel wußte von den friedlichen Demonstrationsabsichten der KPD. Trotzdem richtete er in Berlins Straßen ein Blutbad an

 

Gedenkveranstaltung: 92 Jahre Blutmai | 15 Uhr | Wiesenstraße 43, Berlin–Wedding

 

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Von Nick Brauns

Nach gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der faschistischen SA und linksstehenden Arbeitern verfügte der sozialdemokratische Berliner Polizeipräsident Karl Friedrich Zörgiebel am 13. Dezember 1928 ein Verbot aller Versammlungen unter freiem Himmel. Doch der Anstieg politischer Gewalt war nur ein Vorwand. Denn am Vorabend des Verbots hatte es ein Treffen zwischen dem preußischen Innenminister Albert Grzesinski, Reichsinnenminister Carl Severing und dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun gegeben, auf dem die sozialdemokratischen Politiker ein Verbot der kommunistischen Selbstschutzformation Roter Frontkämpferbund (RFB) erörterten. Severing verweigerte die von Grzesinski geforderte Zustimmung zu einem RFB-Verbot mit der Begründung, die vom RFB ausgehende »öffentliche Gefahr« müsse erst durch weitere Verstöße bewiesen werden. Mit dem im März auf ganz Preußen ausgedehnten Versammlungsverbot unter freiem Himmel sollten die Kommunisten offenbar zu solchen Verstößen provoziert werden. Denn vom Versammlungsverbot betroffen waren auch die traditionellen Kundgebungen zum 1. Mai. Während die sozialdemokratisch geführten Freien Gewerkschaften beschlossen, ihre Maifeiern in Sälen zu veranstalten, bestand die KPD auf Straßendemonstrationen.

Das aus kommunistischen Vertretern der wichtigsten Berliner Großbetriebe und Arbeiterorganisationen gebildete »Maikomitee der Berliner Arbeiterschaft« warnte in seinem Aufruf vom 26. April 1929, daß Zörgiebel »kaltblütig den Arbeitermord für den 1. Mai« vorbereite. »Die Berliner Arbeiter haben in allen Betrieben beschlossen, am 1. Mai die Arbeit ruhen zu lassen und unter allen Umständen zu demonstrieren«, hieß es in der Roten Fahne vom 27. April. »Die Berliner Arbeiter werden der Tradition des Kampfaufmarsches am 1. Mai auch in diesem Jahr trotz Zörgiebel treu bleiben.« Der Aufruf endete mit der Losung: »Volle Arbeitsruhe am 1. Mai! Rote Fahnen heraus! Straße frei für die Massendemonstration!«

In der sozialdemokratischen Presse wurde in den Tagen vor dem 1. Mai eine Lügenkampagne mit Überschriften wie »KPD braucht Leichen« und »Der Blutkoller bei den Thälmännern« geführt. Doch sogar der Bericht eines in die Berliner KPD-Leitung eingeschleusten Polizeispitzels zeigte, daß die Kommunisten eine »friedliche, unbewaffnete« Demonstration planten. Der RFB sollte Spitze und Ende der Demonstrationszüge bilden, um die mitmarschierenden Frauen und Kinder vor der Polizei zu schützen. »Mit allen Mitteln sind Tendenzen zu bekämpfen, dahingehend, mit militärischen Maßnahmen zu spielen.«1

Obwohl die Polizeiführung informiert war, daß keineswegs ein kommunistischer Putsch drohte, ließ sie in einem »Mai-Befehl« alle 16500 Berliner Polizisten mobilmachen, Panzerwagen bereitstellen und Aufklärungsflugzeuge chartern. Die Politische Polizei behauptete, linksradikale Demonstranten planten, durch Schüsse ein Eingreifen der Polizei zu provozieren. Im Einsatzbefehl von Zörgiebel und Schutzpolizeikommandeur Magnus Heimannsberg wurde daraufhin der zunächst noch enthaltene Satz »vom Waffengebrauch ist, soweit es nicht zur Verteidigung unbedingt erforderlich, abzusehen«, wieder gestrichen. Ein Blutbad war damit ausdrücklich eingeplant worden.

Kampf im »roten Wedding«

Bereits in den Tagen vor dem 1. Mai kam es zu einer Reihe von Zusammenstößen mit Kommunisten, bei denen die Polizei auch Warnschüsse abgab. Am 30. April wurden kommunistische Flugblätter mit der Falschmeldung verbreitet, das Demonstrationsverbot sei aufgehoben worden. Am Morgen des 1. Mai – einem Werktag – bildeten sich ab 9 Uhr in den Arbeiterbezirken kleinere Demonstrationszüge in die Innenstadt. Doch statt der von der KPD erhofften bis zu 300000 Demonstranten gingen nur einige Zehntausend auf die Straße.2 Ernst Meyer als Vertreter des schwachen »Versöhnlerflügels« innerhalb der KPD gab später einer fehlenden Einheitsfrontstrategie der KPD gegenüber den reformistischen Verbänden die Schuld an der geringen Beteiligung. »Die Überschätzung unserer eigenen Kraft als Partei hat dazu geführt, daß man sich auf die Spontaneität der Massen verließ, und daß man glaubte, daß der bloße Aufruf zur Demonstration ohne entsprechende organisatorische Vorbereitung schon die Erfolge bringen werde.« So hatten die Kommunisten nicht versucht, ausgehend von den gewerkschaftlichen Mai-Veranstaltungen gemeinsame Demonstrationen mit Sozialdemokraten zu organisieren.

Die Polizei zerschlug sofort jede Menschenansammlung mit Knüppeln und Wasserspritzen. »Leider muß festgestellt werden, daß auch diesmal wieder, wie schon bei früheren Gelegenheiten, die Schärfe des polizeilichen Vorgehens das durch die Aufgabe gebotene Maß weit überschritt. Am Hermannplatz konnten wir uns selbst davon überzeugen, wie die Polizei, ohne die Passanten zu warnen und zum Weitergehen aufzufordern, grob mit den Gummiknüppeln eingriff und geradezu eine ungewöhnliche Treibjagd veranstaltete«, schrieb die liberale Frankfurter Zeitung am folgenden Tag. Zeugen sagten später aus, daß neben Arbeitern mit roten Nelken auch jüdisch aussehende Passanten gezielt verprügelt wurden.

Nachdem Demonstranten sich mit Steinwürfen wehrten, kam es gegen 11.30 Uhr am Hackeschen Markt zum ersten Schußwaffeneinsatz, bei dem zwei Menschen erschossen wurden. In einigen Stadtvierteln errichteten Arbeiter nun Straßenabsperrungen gegen das Eindringen der Polizeiwagen. Unbewiesene Meldungen über angeblich im Wedding und in Neukölln auf Polizeibeamte abgegebene Schüsse wurden von Polizeiführern als Beleg für die Existenz eines »bewaffneten Aufstandes« herangezogen. Nun wurde überall scharf geschossen. Panzerwagen mit Maschinengewehren kamen zum Einsatz gegen Anwohner, die mit Blumentöpfen warfen.

Ein Zentrum der Kämpfe war der »rote Wedding«, wo die KPD bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 auf 40,4 Prozent der Stimmen gekommen war. Die Straßenschlachten konzentrierten sich insbesondere auf die Gegend um die kaum 150 Meter lange Kösliner Straße, in deren vierstöckigen Mietskasernen mit bis zu vier Hinterhäusern rund 2500 Menschen lebten. Nach dem Kommando »Fenster schließen, sonst wird geschossen« eröffnete die Polizei das Feuer auf Häuser, deren Bewohner zum 1. Mai eine rote Fahne oder ein Plakat aufgehängt hatte. Erstes Todesopfer am Wedding wurde der sozialdemokratische Reichsbannerführer Max Gemeinhardt beim Versuch, mit der Polizei zu sprechen. Die im nachhinein sowohl von der Polizei als auch der KPD-Legendenbildung vielbeschworene Barrikade in der Kösliner Straße bestand aus einem umgestürtzen Bauwagen und Bauschutt und sollte vor allem das Eindringen von Polizeifahrzeugen verhindern. Die unverteidigte Barrikade wurde schnell von einem Panzerwagen zerstört. Zu heftigen Zusammenstößen kam es auch um die Neuköllner Hermannstraße.

32 Tote, 200 Verletzte

»Zörgiebels Blutmai – das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges!«, warnte das Zentralkomitee der KPD am 2. Mai in einem Aufruf zum »politischen Massenstreik gegen die Arbeitermörder«. In Berlin traten zwar Arbeiter von rund 120 Betrieben und Baustellen in den Streik. Daß der Streikaufforderung reichsweit nur rund 25 000 Arbeiter unter anderem in Hamburg und den Ruhrgebiet folgten, schätzte die KPD als Mißerfolg ein.

Am Abend des 2. Mai kam es in der Kösliner Straße erneut zu Kämpfen, nachdem Anwohner auf der Straße die »Internationale« sangen. Auch in Neukölln nahm die Polizei Arbeiterwohnungen unter Beschuß. Am 3. Mai verhängte Zörgiebel den Ausnahmezustand über die Unruhebezirke. Die Polizei errichtete Maschinengewehrstellungen auf Balkonen und Dächern und leuchtete die Straßen mit Scheinwerfern aus. Wohnungen wurden durchsucht. »Die Säuberung der Hermannstraße sollte auf Befehl des Majors rücksichtslos, wenn erforderlich, mit Waffengewalt durchgeführt werden«, schilderte ein Hauptwachtmeister.3 Während ein Panzerwagen die Häuserfront unter Dauerbeschuß nahm, rückten die Polizeitruppen vor.

Die blutige Bilanz bis zum Abend des 3. Mai: 32 von der Polizei Erschossene, ein von einem Panzerwagen Totgefahrener und rund 200 zum Teil Schwerverletzte. Jüngstes Todesopfer war ein 16jähriges Mädchen, das die Straße nicht schnell genug verlassen hatte. Zehn Menschen waren in ihren Wohnungen oder auf Balkons getötet worden. In keinem einzigen Fall hatten die tödlichen Schüsse nach Polizeierkenntnissen einen Demonstranten getroffen. Von den Toten gehörte nur ein einziger einer kommunistischen Organisation, dem RFB, an. Zwei Tote waren Mitglieder der SPD.

Die Polizei gab 47 meist leicht verletzte Beamte an. Nur ein einziger hatte eine Schußwunde – durch einen Unfall mit seiner Dienstwaffe. Die zuvor von der Polizei als Rechtfertigung für den Schußwaffengebrauch behauptete »heftige Beschießung« durch »zahlreiche Dachschützen« gehörte offenbar dem Reich der Legenden an. Dennoch rechtfertige Innenminister Grzesinski noch am 13. Mai in einer Landtagsrede das Blutbad: »Die Polizei mußte sich im Neuköllner Bezirk der zahlreichen Dach- und Fensterschützen durch lebhaftes Feuer erwehren.«

Juristisches Nachspiel

Von 1228 Verhafteten in den Maitagen gehörten nicht einmal 200 der KPD oder dem RFB an. Die meisten waren gänzlich unbeteiligte Passanten, anderen wurde lediglich die Teilnahme an einer verbotenen Demonstration vorgeworfen. Der von SPD-Politikern herbeigeredete »kommunistische Putschversuch« ließ sich so zwar nicht beweisen, doch am 3. Mai erfolgte mit Zustimmung von Reichsinnenminister Severing das Verbot des Roten Frontkämpferbundes, dem Grzesinski die Verantwortung für die »Mai-Unruhen« gab. Damit hatten sozialdemokratische Politiker erreicht, woran ein deutschnationale Reichsinnenminister noch ein Jahr zuvor gescheitert war.

Am 5. Mai beschloß die pazifistische Liga für Menschenrechte, einen Ausschuß zur Klärung der Mai-Vorgänge zu bilden, um so die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu erwirken. Weder die Zielstellung einer rein parlamentarischen Aktion noch der vom Liga-Generalsekretär Kurt Großmann verfügte Ausschluß von Kommunisten aus dem Ausschuß war für die KPD akzeptabel. Auf Initiative der KPD-nahen, aber überparteilichen Solidaritätsorganisatin für politisch verfolgte Proletarier, der Roten Hilfe Deutschlands, wurde daher am 6. Mai ein weiterer »Ausschuß zur öffentlichen Untersuchung der Mai-Vorgänge« ins Leben gerufen, der unter der Leitung des Chefredakteurs des liberalen Tage-Buch, Stefan Großmann, stand. Dem Präsidium gehörten der bekannte linksliberale Rechtsanwalt Alfred Apfel, der Publizist Carl von Ossietzky, Kunstkritiker Herwarth Walden, Wirtschaftswissenschaftler Alfons Goldschmidt und Rote-Hilfe-Vorstandsmitglied Ottomar ­Geschke an.

Am 6. Juli lud der Ausschuß zum öffentlichen Tribunal in das Große Schauspielhaus mit mehr als 3000 Teilnehmern. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rechtsanwalt Apfel 300 Zeugen der Mai-Ereignisse vernommen. Nun befragte Professor Goldschmidt öffentlich eine Reihe von Zeugen, darunter auch den KPD-Abgeordneten und Vorsitzenden der Roten Hilfe Wilhelm Pieck. Der Neuköllner Gesundheitsdezernent Richard ­Schmincke bestätige, daß sämtliche Schußverletzungen der von ihm obduzierten Leichen durch Polizeimunition erfolgt seien. Daß die meisten Schüsse die Opfer von hinten oder von der Seite getroffen hatten, sprach gegen die Behauptung der Polizei, sie sei angegriffen worden und habe in Notwehr geschossen. Auch die These von den kommunistischen Heckenschützen auf den Dächern wurde widerlegt, da bei keinem der Todesopfer der Schußkanal von oben nach unten verlief. Drei weitere öffentliche Untersuchungen unter Leitung von Carl von Ossietzky und des anarchistischen Dichters Erich Mühsam wurden in den Weddinger Pharussälen und in Friedrichshain durchgeführt. Ossietzky erklärte abschließend: »Die Verletzung des Demonstrationsverbots ist kein Verbrechen, sondern die Maßnahme einer Arbeiterpartei, die hierin nur der Tradition der alten Sozialdemokratie gefolgt ist.« Die von der Versammlung als Schlußresolution abgestimmten Forderungen lauteten auf Absetzung Zörgiebels als Polizeichef, dem Verbot von Schußwaffeneinsätzen gegen die Bevölkerung, der Freilassung aller wegen der Mai-Vorgänge Inhaftierter und der Entschädigung der Hinterbliebenen der Getöteten.

Im Oktober 1929 kam auch der Ausschuß der Liga für Menschenrechte zu dem Schluß: »Die Leitung der Polizei selbst hat Maßnahmen ergriffen, die von keinem Standpunkt aus mit dem Zweck einer sich dem Staatsganzen einordnenden Polizei in Einklang zu bringen sind, die vielmehr selbst teilweise durchaus gesetzeswidrig waren.«4

In Prozessen gegen Arbeiter, die in den Maitagen als angebliche Aufrührer verhaftet worden waren, erstritten die Rechtsanwälte der Roten Hilfe eine Reihe von Freisprüchen oder Bewährungsstrafen. In gerade einmal 38 Fällen wurden Freiheitsstrafen bis zu maximal neun Monaten verhängt. Die kommunistische Welt am Abend sah darin einen Verdienst des Mai-Ausschusses, der eine solche Fülle von Tatsachen über den Polizeieinsatz zutage gefördert habe, daß die Gerichte nicht achtlos darüber hinweggehen könnten.

Nachdem der Mai-Ausschuß am 8. Juli seine Arbeit beendete, ging es der Roten Hilfe darum, die Erinnerung an die »sozialfaschistischen Mai-Mörder« wachzuhalten und Zörgiebel vor Gericht zu bringen. Da das Gericht die Eröffnung eines von Rechtsanwalt Hans Litten beantragten Ermittlungsverfahrens gegen den Polizeipräsidenten wegen Anstiftung zum Mord in 33 Fällen ablehnte, ging die Rote Hilfe zu einer neuen Taktik über. In der Roten Fahne wurde Zörgiebel als »Mörder« und »Arbeiterschlächter« attackiert, »damit der Polizeipräsident Zörgiebel veranlaßt würde, Strafanzeige wegen Beleidigung zu stellen und so die Voraussetzung für ein Gerichtsverfahren zu schaffen, in dem die Frage der Verantwortlichkeit der behördlichen Stellen für die Opfer des 1. Mai in öffentlicher Verhandlung erörtert werden könnte«.5

Da auch dies scheiterte, griff Litten zu einer List. Als der inzwischen als Polizeichef abgelöste Zörgiebel im November 1930 als Zeuge an einem Verfahren gegen Mai-Demonstranten teilnahm, verpaßte ihm der Jungkommunist Hermann Heidrich eine Ohrfeige und erklärte: »Es ist mein gutes Recht, einen Menschen, der 33 Arbeiter umbringen ließ, durch eine Ohrfeige zu züchtigen.« Zweck dieser Aktion war die Einleitung eines neuen Prozesses, diesmal wegen Körperverletzung. Im November 1931 fand schließlich eine Berufungsverhandlung vor dem Reichsgericht statt. Dem Beweisantrag Hans Littens, Zörgiebels Schuld zu klären, ging das Gericht diesmal mit der sensationellen Begründung nicht nach, man unterstelle die Behauptungen von vorneherein als »wahr«. In der Urteilsverkündung hieß es: »Am 1. Mai 1929 und den folgenden Tagen sind an Stellen der Stadt Berlin von Polizeibeamten zahlreiche Exzesse begangen worden. Dies beweist, daß es in der Berliner Schutzpolizei zahlreiche Elemente gab, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren und nicht in die Schutzpolizei hineingehören. Einen Teil der Schuld trägt auch der Umstand, daß zahlreiche Beamte ausgesprochen kommunistenfeindlich eingestellt waren.«6

SPD ist »sozialfaschistisch«

Bereits der VI. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Sommer 1928 hatte die auch für die KPD verbindliche Generallinie beschlossen, wonach eine »Dritte Periode (…) der stärksten Entwicklung der Widersprüche der Weltwirtschaft (…) der allgemeinen Krise des Kapitalismus (…) eine neue Phase von Kriegen zwischen den imperialistischen Staaten, von Kriegen gegen die Sowjetunion, nationalen Befreiungskriegen gegen den Imperialismus, Interventionen des Imperialismus, gigantischen Klassenkämpfen« bevorstände.

Als Haupthindernis für eine Revolution wurde die Sozialdemokratie identifiziert, die sich »als stärkste Stütze der bürgerlichen Klassenherrschaft in den Massen« zu einer »sozialfaschistischen Partei« gewandelt habe. Für die Politik der Kommunisten in den kapitalistischen Ländern bedeutete die radikale Wende, daß nicht mehr die Einheitsfront mit Reformisten in der praktischen Aktion gefordert wurde, sondern der verschärfte Kampf gegen die »Sozialfaschisten«. Hintergrund dieser scharfen Linkswende waren die auf die Mitgliedsparteien der Komintern übertragenen Auseinandersetzungen innerhalb der UdSSR, wo die Stalin-Bürokratie jetzt gegen den rechten Parteiflügel um Nikolai Bucharin kämpfte, nachdem die noch unter Lenin begonnene Neue Ökonomische Politik mit Marktelementen zugunsten einer schnellen Industrialisierung und Zwangskollektivierung der Bauern beendet worden war.

Während die KPD-Führung um den Parteivorsitzenden Ernst Thälmann diese neue Orientierung aus Moskau bereitwillig mittrug, stieß diese Politik bei größeren Teilen der Parteibasis noch auf Unverständnis. Erst die Erfahrung mit der SPD-Politik im Blutmai 1929 wirkte als regelrechter Katalysator zur Durchsetzung der Sozialfaschismusthese bei der KPD-Basis und in ihrem Umfeld.

Der Blutmai und seine Folgen standen im Mittelpunkt der Beratungen des 12. Parteitages vom 9. bis 16. Juni 1929, den die KPD demonstrativ im Wedding abhielt. In der Parteitagsresolution, die den linksradikalen Kurs absegnete, hieß es: »Die Eigenart der gegenwärtigen Entwicklung in Deutschland besteht darin, daß die Bourgeoisie ohne Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie in der gegenwärtigen Zeit ihren imperialistisch-faschistischen Kurs nicht durchführen kann. Die Sozialdemokratie bereitet als aktive organisierende Kraft die Errichtung der faschistischen Diktatur vor.« Zugleich sah die KPD in den Berliner Mai-Kämpfen »einen Wendepunkt der politischen Entwicklung in Deutschland« und das Signal für einen »stärkeren Aufstieg der revolutionären Welle, das Heranreifen der zweiten proletarischen Revolution in Deutschland. Es entstehen die Voraussetzungen für das Herannahen einer unmittelbar revolutionären Situation, mit deren Entwicklung die Frage des bewaffneten Aufstandes unmittelbar auf die Tagesordnung treten wird«. Im Namen des Kampfes gegen den »Sozialfaschismus« erfolgte die weitere Spaltung proletarischer Verbände – von den Gewerkschaften bis zu Sport- und Kulturorganisationen, in denen sozialdemokratische Bürokraten sowieso schon mit Ausschlüssen gegen Kommunisten vorgingen. Die KPD isolierte sich damit weiter von der noch reformistisch beeinflußten Mehrheit der organisierten Arbeiter.

»Nach dem Mai 1929 wurde der Name Zörgiebel so berüchtigt, wie es der Name Noske in der ersten Zeit nach dem Krieg gewesen ist«, erinnert sich die Sozialistin Evelyn Anderson (Lore Seligman).7 Zeitweise bezeichnete die KPD auch einfache SPD-Mitglieder als »kleine Zörgiebels«. Diese undifferenzierten Angriffe führten nicht zum erhofften Bruch der linken SPD- und Gewerkschaftsbasis mit ihren rechten Führern, sondern schweißten diese vielmehr trotz ihrer Kritik an der opportunistischen SPD-Politik enger mit ihrer Führung zusammen. »Die beiden großen Sektionen der deutschen Arbeiterschaft aber trieben weiter auseinander, bis der gegenseitige Haß so tief und intensiv geworden war, daß er beide Teile gleichermaßen unfähig machte, sich der tödlichen Gefahr der aufsteigenden nationalsozialistischen Bewegung entgegenzustellen«, wies Anderson in ihrer zuerst 1945 für britische Leser erschienenen Studie »Hammer oder Amboß« auf eine wesentliche Ursache des Scheiterns einer Einheitsfront gegen den Faschismus hin.

1 Zitiert nach Léon Schirmann, Blutmai Berlin 1929. Dichtungen und Wahrheit, Berlin 1991, S. 65

2 Siehe ebenda, S. 195 f., und Thomas Kurz, Blutmai – Sozialdemokraten und Kommunisten im Brennpunkt der Berliner Ereignisse von 1929, Bonn 1988, S. 281

3 Zitiert nach: Thomas Kurz, Blutmai, a.a.O., S. 60

4 Die Ergebnisse der Mai-Untersuchung, Die Menschenrechte Nr. 9/10, 1. Oktober 1929, S. 18

5 Schirmann, Blutmai, a.a.O., S. 237f.

6 Carlheinz von Brück, Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb, Berlin 1975, S. 60

7 Evelyn Anderson, Hammer oder Amboß – Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nürnberg 1948, S. 188

Leicht gekürzt in: Junge Welt 30.04.2009

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