Inlandsgeheimdienst umschifft Verbot zur Nennung des Hans-Litten-Archivs im Verfassungsschutzbericht. Ein Gespräch mit Rolf Meier
Interview: Kristian Stemmler
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Das Hans-Litten-Archiv pflegt einen Bestand von Dokumenten zu Solidaritätsaktionen auch der Roten Hilfe (Dortmund, 13.11.1974)

Rolf Meier ist Mitglied im Vorstand des Hans-Litten-Archiv e. V.

Im kürzlich präsentierten Verfassungsschutzbericht 2020 wird das Hans-Litten-Archiv, kurz HLA, – wie auch junge Welt – erneut erwähnt, obwohl das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem Verfassungsschutz verboten hatte, es als »extremistische Gruppierung« zu bezeichnen. Wie ist das möglich?

Der sogenannte Verfassungsschutz, kurz VS, hat sich mal wieder von seiner kreativen Seite gezeigt und für uns kurzerhand die Kategorie »extremistische Struktur, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt« erfunden. Damit umschifft der Geheimdienst das Gerichtsurteil und kann unsere Arbeit erneut verunglimpfen.

Worin sieht der Inlandsgeheimdienst denn die Verfassungsfeindlichkeit Ihres Vereins?

Die »Vorwürfe« sind an Absurdität kaum zu überbieten. Der Verfassungsschutz behauptet, das HLA handele für die Rote Hilfe, kurz RH, »indem es sie nachdrücklich in ihren verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterstützt«. Abgesehen von der Frage, was genau die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e. V. sein mögen, nennt der VS-Bericht als Belege für die seiner Ansicht nach staatsgefährdenden Umtriebe des Archivvereins »beispielsweise Lesungen und Vortragsveranstaltungen mit Ortsgruppen der RH …, welche die Arbeit und Ziele der RH fördern sollen«. Dabei handelt es sich um Buchvorstellungen und Vorträge zur Geschichte der Roten Hilfe Deutschlands in der Weimarer Republik und im antifaschistischen Widerstand ab 1933. In vielen Städten zählen naheliegenderweise Ortsgruppen der RH zum Veranstalterkreis, ebenso wie andere politische Gruppen, Parteien und Geschichtsvereine.

Wird Ihnen also aus der Zusammenarbeit mit der RH ein Strick gedreht?

 

Ja, genau. Außerdem wird im VS-Bericht ein rund zehn Jahre altes Zitat eines Archivmitarbeiters angeführt, der in einem Interview davon sprach, »die aufgearbeitete Historie für die Kämpfe der Gegenwart zu nutzen«. Lehren aus der Geschichte zu ziehen wird also prinzipiell als verfassungsfeindlich eingestuft. Außerdem verweist der VS-Bericht darauf, dass das Archiv seine Räume im selben Haus wie die Geschäftsstelle der Roten Hilfe e. V. in Göttingen hat.

Im Registeranhang des VS-Berichts heißt es, der Archivverein sei »nicht selbst als extremistische Gruppierung, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt« aufgeführt, »sondern als Unterstützer einer solchen Gruppierung«.

Das ist grotesk – aber diese sprachakrobatischen Verrenkungen sind eben ein Zugeständnis an das Gerichtsurteil, das dem Geheimdienst ausdrücklich die Listung des Hans-Litten-Archivs in der Kategorie »extremistische Gruppierung« untersagt hat.

Was ist Ziel und Aufgabe Ihres 2005 gegründeten Vereins, und mit welchen Aktivitäten verfolgen Sie Ihre Ziele?

Unser Vereinszweck ist zunächst die Archivierung von Dokumenten zur Geschichte der Solidaritätsorganisationen der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen, darunter der verschiedenen Rote-Hilfe-Vereinigungen der letzten 100 Jahre mit Fokus auf dem deutschsprachigen Raum. Ein Schwerpunkt unserer Forschungen betrifft die Widerstandstätigkeit während des NS-Faschismus, aber ein großer Teil unseres Bestandes beinhaltet neben Archivalien aus der Weimarer Republik Dokumente von Antirepressionsgruppen seit den 1970er Jahren. Unser Satzungszweck hebt hervor, dass wir auch Bildungsarbeit in Form von Vorträgen, Seminaren und Publikationen leisten – und genau das wird uns nun zum Vorwurf gemacht.

Werden Sie gegen die neuerliche Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wieder juristisch vorgehen?

Als kleiner, weitgehend spendenfinanzierter Verein müssen wir uns gründlich überlegen, ob wir unsere Gelder in ein Verfahren mit ungewissem Ausgang stecken wollen oder lieber in den Ankauf seltener Archivalien. Denn der Geheimdienst findet selbst im Erfolgsfall Mittel und Wege, um gerichtliche Vorgaben zu umgehen. Wir halten daher erst einmal Rücksprache mit unserem Rechtsbeistand und behalten uns rechtliche Schritte vor. Schließlich gefährdet eine Nennung im Verfassungsschutzbericht unsere Gemeinnützigkeit und Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten.

 

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