Die Serie Babylon Berlin erinnert an den Rote-Hilfe-Anwalt Hans Litten
von Nick Brauns*
Im Oktober sendete die ARD eine neue Staffel der populären, in der turbulenten Endphase der Weimarer Republik spielenden Kriminalserie Babylon Berlin.
Es ist das Verdienst der Filmemacher, hier erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Millionenpublikum auf den in einer Nebenrolle vorkommenden, linken Rechtsanwalt Hans Litten aufmerksam gemacht zu haben.
Hans Litten, der ab 1928 als Rechtsanwalt in Berlin Mandate der KPD-nahen, aber überparteilichen Solidaritätsorganisation Rote Hilfe Deutschlands übernahm, hatte sich als «Anwalt des Proletariats» einen Namen gemacht. Nach einem SA-Überfall auf das Tanzlokal Eden 1930 gelang es Litten als Vertreter der Nebenklage, Adolf Hitler persönlich als Zeugen zu laden und nachzuweisen, dass der SA-Terror einer planmäßigen Taktik der Nazis entsprang. Diese Bloßstellung sollte ihm der Naziführer nie verzeihen. Noch in der Nacht des Reichstagsbrands wurde Litten in «Schutzhaft» genommen. Es begann ein fünfjähriges Martyrium durch verschiedene Konzentrationslager, bis Litten am 5.Februar 1938 erst 34jährig im KZ Dachau seinem Leben selbst ein Ende setzte.
Zu sehen ist in der 22.Folge von Babylon Berlin das mit Akten prall gefüllte Büro der «Kanzlei Litten», an der Wand ein Bild von Rosa Luxemburg. Die von Liv Lisa Fries gespielte Kriminalassistentin Charlotte Ritter, eine der beiden Hauptcharaktere der Kriminalserie, erbittet Hilfe für ihre wegen ihrer Verwicklung in ein politisches Attentat zum Tode verurteilte Freundin, Greta Overbeck. «Wir sind eine Freiwilligenorganisation», klärt der von Trystan Pütter überzeugend als offener und sympathischer, doch in der Sache energischer Charakter dargestellte Litten erst einmal die Arbeitsweise der Roten Hilfe. «Wir gewähren Rechtshilfe für Unterprivilegierte. Für Arbeiter, für Arbeitslose. Wir beraten die Menschen. Wir vertreten sie vor Gericht. Wir kämpfen für diese Menschen und helfen ihnen so zu etwas, was ihnen zusteht: Nämlich zu ihrem Recht!»
In Babylon Berlin wird deutlich, dass die Weimarer Republik gerade nicht – wie heute gerne kolportiert wird – durch das «Hufeisen» aus «Rechts- und Linksextremisten» zerstört wurde, sondern durch das Bündnis von Teilen des Staatsapparats mit den Nazis. Diese unheilvolle Kollaboration zu bekämpfen, war Littens Intention.
Der Preis
Die Kooperation von Staat und Nazis endete nicht 1945. Mit dem Wirken des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes, der über seine V-Leute tief im Neonazisumpf steckt, befasst sich seit Jahrzehnten kritisch der Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivist Rolf Gössner. Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) hat im Oktober den Juristen, der der seit Anfang der 1970er Jahre 38 Jahre lang illegal vom Verfassungsschutz überwacht wurde, mit ihrem Hans-Litten-Preis für sein langjähriges Engagement für Bürger- und Menschenrechte ausgezeichnet.
Mit dem nach Litten benannten Preis soll solches juristische Wirken ausgezeichnet werden, das kompromisslos dem Recht verpflichtet ist, der Konfrontation mit den politschen Machtinteressen und ihren Institutionen nicht ausweicht, über den juristischen Beruf hinausgeht und in besonders hohem Maß durch demokratisches und rechtspolitisches Engagement gekennzeichnet ist – so die Ausführungen des VDJ-Vorsitzenden Joachim Kerth-Zelter bei der Preisverleihung.
Die Erinnerung an den mutigen Rote-Hilfe-Anwalt und Antifaschisten Litten will mit seiner Namenswahl auch das 2005 in Göttingen gegründete Hans-Litten-Archiv e.V. wachhalten. Der Archivverein sammelt Dokumente zur Geschichte der Solidaritätsorganisationen der Arbeiterbewegung und der sozialen Bewegungen der letzten 100 Jahre, darunter der verschiedenen Rote Hilfe Vereinigungen, sowie verwandter Themen wie Klassenjustiz und politische Gefangene. Es geht darum, die Solidarität gegen Unterdrückung, Repression und Verfolgung als die andere Seite des Kampfes um Emanzipation nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Im Visier
Doch eine solche Erinnerung ist bei den Herrschenden nicht erwünscht. Noch in seinen letzten Amtswochen 2018 hatte der wegen seiner Verharmlosung neofaschistischer Umtriebe selbst für die Bundesregierung nicht mehr tragbare Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen angeordnet, das Hans-Litten-Archiv künftig im Verfassungsschutzbericht zu nennen. Obwohl das Archiv ein eigenständiger Verein ist, wird es im Geheimdienstbericht als «Struktur» der Roten Hilfe und «extremistische Gruppierung» mit «verfassungsfeindlichen Zielen» bezeichnet. Eine solche Einstufung gefährdet die wissenschaftliche Kooperation mit anderen Institutionen wie Universitäten. Zudem droht durch die Nennung im Verfassungsschutzbericht der Entzug der Gemeinnützigkeit, wie dies etwa der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) widerfahren ist.
Seinem Namenspaten Hans Litten verpflichtet, war der Archivverein nicht bereit zu akzeptieren, dass der Geheimdienst als Zensor zivilgesellschaftlichen Engagements auftritt. Der juristische Kampf hat sich gelohnt. Im November 2020 konnte der durch seinen Anwalt Peer Stolle vertretene Verein vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Teilerfolg verbuchen. Zwar sieht es das Gericht als erwiesen an, dass das Hans-Litten-Archiv zur Struktur der Roten Hilfe gehört. Doch der Verfassungsschutz darf nun nicht mehr behaupten, dass der Archivverein selbst «eine extremistische Gruppierung, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt» sei.
*Der Autor ist Vorsitzender des Hans-Litten-Archivs e.V., www.hans-litten-archiv.de.